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Erziehung & Pubertät: Warum Streit mit deinem Teenager ein echtes Kompliment ist

Mutter sitzt vor ihrem Sohn auf dem Sofa und argumentiert.
Glaubst du, der Teen und du, ihr streitet aktuell zu viel? Möglicherweise ist genau das der Beweis für deine gute Erziehung. Credit: Getty Images/ Anchiy

Knallende Türen und ständig Diskussionen? Warum genau das zeigt, wie sehr dein Teen dir vertraut und was wirklich hinter dem Streiten steckt.

Eltern eines Teenagers zu sein, kann sehr anstrengend sein. Besonders, wenn man regelmäßig mit dem Nachwuchs aneinander gerät. Wenn beinah jedes Gespräch in einer Diskussion endet, in der beide Seiten sich irgendwann aufregen und eine abmarschiert und die Tür knallt. Das zerrt an den Nerven und man kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob man das so richtig macht mit der Erziehung.

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Die Wahrheit ist aber, dass Eltern, die öfter mit ihrem Teen streiten und diskutieren und die Grenzen setzen und durchsetzen, sehr wahrscheinlich einen richtig guten Job machen. Und vermutlich sogar einen, der ein bisschen besser ist, als der von Eltern, die selten bis nie mit ihrem Kind aneinander geraten (abhängig vom Charakter des Kindes natürlich). Und ich will dir auch sagen, warum.

Warum Teenager mit guten Eltern besonders heftig streiten

Die Pubertät ist eine Entwicklungsphase und eine, die es in sich hat. Sie ist geprägt von großen emotionalen, körperlichen und geistigen Veränderungen für das Kind. Im Gehirn wird so viel umgestellt, neu sortiert, teilweise zurückgebaut, um dann wieder neu aufgebaut zu werden. Und während die Impulskontrolle mitten in der Entwicklung steckt, arbeitet das Gefühlszentrum im Kind auf Hochtouren. In der Pubertät fühlen Teenager mehr, intensiver und viel schneller.

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Während ein Teenager also Reize schneller wahrnimmt, hinkt die Fähigkeit zur Selbstregulation massiv hinterher. Heißt auch, Teenager wollen oft gar nicht so heftig reagieren, aber sie können einfach nicht anders. Und der entscheidende Punkt hier ist: Diese ungefilterten Emotionen zeigt dein Kind dort, wo es sich sicher fühlt. Bei dir.

Wenn sich dein Teenager traut zu widersprechen, dich infrage zu stellen, wütend zu werden oder sich zurückzuziehen, dann zeigt das vor allem eins: Vertrauen. Dein Kind weiß, ob nun bewusst oder unbewusst, dass eure Beziehung stark genug ist, um das auszuhalten. Dass eure Bindung nicht an einem Streit zerbricht.

Kinder und Jugendliche zeigen oder äußern ihre Gefühle nicht an Orten, an denen sie sich unsicher fühlen. In der Schule, bei Freunden oder sogar den Großeltern schlucken sie sie runter, funktionieren und passen sich an. Und wirken nach außen oft erstaunlich ‚pflegeleicht‘.

Streitet, motzt und meckert das Kind also zu Hause, führt es unendliche Diskussionen, dann ist das kein Zeichen für schlechtes Benehmen, sondern ein Zeichen von Bindung und innerer Sicherheit.

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Was fehlender Streit bedeuten kann

Natürlich gibt es Teenager, die von Natur aus ruhig(er) sind. Die einfach konfliktscheuer, harmoniebedürftiger oder introvertierter durchs Leben gehen. Aber dass sich ein Teenager nie an den Eltern oder deren Meinung aufreibt, kann ein Zeichen dafür sein, dass er emotional sehr großen Abstand zu ihnen hat, dass er sich nicht verbunden fühlt.

Diskutiert, hinterfragt oder testet ein Jugendlicher Grenzen nicht und zeigt er selten Emotionen, kann das verschiedene Ursachen haben. Vielleicht:

  • vermeidet er Konflikte aus Angst vor Liebesentzug oder Strafen.
  • hat er gelernt, dass seine Meinung nicht zählt.
  • sind die Eltern desinteressiert oder zeigen keine Emotionen.
  • fühlt er sich nicht gesehen und gehört.
  • hat er innerlich bereits resigniert.

Besonders kritisch ist es, wenn Jugendliche ihre Konflikte nicht nach außen tragen, sondern gegen sich selbst richten, durch Selbstzweifel, Selbstverletzung oder Depressionen. Emotionen fortwährend zu unterdrücken, wirkt schädlich auf Körper und Geist.

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Kann ein Teenager aber streiten, schreien, sich abgrenzen und findet trotzdem immer wieder zurück zu den Eltern, dann zeigt das, dass Eltern und Kind in einer Beziehung zueinander stehen und einander etwas bedeuten. Auch wenn es sich anders anfühlt, ist Streit ein Zeichen für Verbindung.

Streit ist kein Angriff, sondern ein Test

Viele Eltern verstehen das Diskutieren und Streiten ihres Teenagers als persönlichen Angriff gegen sich. Dabei geht es gar nicht um die Eltern, sondern ausschließlich um das Kind selbst. Es möchte wissen, wer es ist, ohne die Eltern. Teenager versuchen, ihre eigene Identität zu entwickeln und das funktioniert nicht ohne Reibung.

Eltern sind deshalb nicht einfach eine Zielscheibe für jugendliche Unzufriedenheit. Das Kind reibt sich an ihnen auf, um herauszufinden, wer er oder sie selbst ist und sein will. Ihr streitet deshalb miteinander, weil sich euer Kind lösen will, von eurer Meinung, euren Ansichten. Es will seine eigenen finden.

Warum gute Eltern anstrengend sind

Ihr streitet auch, weil ihr versucht, in Kontakt zu eurem Kind zu bleiben. Ihr mischt euch ein, übernehmt Verantwortung und hört nicht auf, nachzufragen und hinzuschauen, nur weil euer Teen das gerade unbequem findet. Und dann ist das eben anstrengend für das Kind. Aber ein Zeichen dafür, dass ihr gute Eltern seid.

Schlechte Eltern scheuen den Konflikt und ziehen sich emotional zurück, resignieren und lassen ihrem Kind Dinge durchgehen, weil sie selbst ihre Ruhe haben wollen. „Mach doch, was du willst“, klingt für einen Teenager also vielleicht nach Freiheit. Aber irgendwie auch nach, „du bist mir egal.“

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Streit kann Selbstwert stärken

Das Selbstbild entsteht nicht einfach so von allein, sondern indem wir sehen, wie die wichtigsten Personen in unserem Leben auf uns und unsere Meinung reagieren. Und auch, wenn Teenager das nie zugeben würden, ihre Eltern sind ihnen wichtig. Ein Teenager, der sich also mit dir auseinandersetzt und dabei ernst genommen wird, erfährt:

  • dass seine Meinung Gewicht hat.
  • dass er anders denken darf und dass das nichts an der Beziehung zu den Eltern ändert.
  • dass Konflikte aushaltbar sind.
  • dass die Beziehung nicht an Gefühlen scheitert.

Streit in einer sicheren Umgebung lehrt, dass Nähe und (Meinungs-)Verschiedenheiten gleichzeitig existieren können. Nur weil man streitet, heißt das nicht, dass man sich hasst.

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Lernt ein Teenager auf der anderen Seite, dass Konflikte vermieden werden müssen, wird er dieses Muster mit ins Erwachsenenleben nehmen und vermeintlichen Streitsituationen immer aus dem Weg gehen. Das wirkt sich unweigerlich auf eine Partnerschaft, Freundschaften und die Arbeit aus.

Und wie streitet man richtig?

Streit ist hin und wieder unausweichlich, besonders wenn grundverschiedene Ansichten und Meinungen aufeinandertreffen. Entscheidend dafür, dass der Streit nicht eskaliert oder die Gefühle des Gegenübers verletzt werden, gibt es ein paar Regeln, die man beachten sollte:

  • Trenne Verhalten und Person („Das war nicht okay.“ vs. „Du bist unmöglich.“).
  • Lasse Raum für Gefühle.
  • Zuhören, um zu verstehen, nicht, um zu kontern.
  • Mach Pausen, wenn die Emotionen hochkochen.
  • Entschuldige dich, wenn du zu weit gegangen bist.
  • Bleib in Beziehung, auch wenn du klare Grenzen setzt.

Warum streiten auch ein Kompliment ist

Vielleicht wirst du heute über diesen Artikel lachen, während dein Teenager mit seiner Zimmertür knallt (und du am liebsten mitmachen würdest). Vielleicht bist du auch gerade supermüde oder überfordert und würdest alles für einen Moment Ruhe geben.

ABER wenn dein Kind heute mit dir streitet, dir widerspricht, Gefühle zeigt, sich wieder und wieder an dir reibt, dann heißt das: Du bist wichtig. Du und deine Meinung zählen. Du bist sein Anker. Und du bist ein richtig guter Elternteil.

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