Es gibt diesen Moment, in dem du dein Kind ansiehst und dich fragst, wann eigentlich dieses beinahe erwachsene Wesen eingezogen ist. Früher hast du ihm die Mütze über die Ohren gezogen, heute diskutiert ihr darüber, ob eine Jacke bei acht Grad wirklich nötig ist.
Teenager sind irgendwo zwischen Kindheit und Erwachsenenwelt unterwegs, mal hoch philosophisch, mal völlig planlos, mal berührend klug, mal emotional wie ein Gewitter im August. Und du sitzt daneben, versuchst zu begleiten, aber nicht zu ersticken, zu schützen, aber nicht auszubremsen.
Das Problem: Genau in dieser Phase brauchen Teenager Freiheiten, die uns Eltern instinktiv schwerfallen. Psychologisch völlig logisch. Allerdings weisen Entwicklungsforscher*innen seit Jahren darauf hin, dass Jugendliche nur dann zu stabilen, verantwortungsbewussten Erwachsenen werden, wenn sie ausreichend Selbstwirksamkeit erleben. Selbstwirksamkeit entsteht aber nicht durch Regeln und Vorschriften, sondern durch Erfahrungen. Und die müssen Teenager selber machen.
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Hier sind fünf Freiheiten, die dein Teenie unbedingt braucht. Und ja, manche davon tun kurz weh. Aber langfristig gehören sie zu den wertvollsten Geschenken, die du deinem Kind machen kannst.
Lass deinen Teenie Entscheidungen treffen – auch wenn sie nicht perfekt sind
Wir Eltern wünschen uns Klarheit, Stabilität und Harmonie in unserem Leben. Teenager wünschen sich das Gegenteil: Optionen, Risiken und Autonomie. Die Pubertät ist eine Entwicklungsphase, in der das Belohnungssystem im Gehirn besonders aktiv ist. Gleichzeitig reift der präfrontale Cortex, verantwortlich für vorausschauendes Denken, erst bis etwa Mitte 20. Das bedeutet nicht, dass Teenager irrational handeln, aber dass sie Entscheidungen vor allem über Gefühle, Erfahrungen und Zugehörigkeit treffen.
Kontrollieren wir Eltern also die meisten ihrer Entscheidungen, nehmen wir ihnen die zentrale Lernphase, in der sie Verantwortung einüben. Kleine Fehltritte gehören zum Leben dazu und sind pädagogisch deutlich wertvoller als perfekt kontrollierte Abläufe.
Welche Entscheidungen Teenies übernehmen können:
- Welche Kleidung sie tragen.
- Wie sie ihre Freizeit organisieren.
- Welche Hobbys sie verfolgen.
- Wie sie ihr Taschengeld ausgeben.
- Ob, wann und wie sie lernen.
- Welche Freundschaften sie pflegen.
Natürlich gibt es Grenzen, wenn Sicherheit oder Gesundheit in Gefahr sind oder auch die Schule sehr leidet. Aber dazwischen liegt ein riesiger Raum für echte Eigenständigkeit.
Jugendliche, die Entscheidungen treffen dürfen, werden resilienter, eigenständiger und sozial kompetenter. Sie entwickeln ein realistisches Gefühl von Verantwortung, statt Regeln einfach nur zu befolgen.
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Erlaube deinem Teenie Rückzug (und nimm es nicht persönlich)
Kaum eine Veränderung trifft Eltern so unerwartet wie der Rückzug von Teenagern. Gestern hast du noch über Serien mit deinem Kind diskutiert, heute knallt die Zimmertür zu und du hörst stundenlang nichts außer Musik und gelegentlichem Herumräumen.
Aber: Der Rückzug deines Kindes hat absolut nichts mit dir zu tun. Es ist kein Angriff auf eure Beziehung, sondern ein Ausdruck von Reifung. In der Pubertät bildet sich ein neues Bedürfnis nach Intimität, Privatsphäre und Selbstdefinition aus. Jugendliche sortieren, wer sie sein wollen, wie sie sprechen und welche Werte sie übernehmen. Vieles davon passiert im Kopf und braucht Ruhe.
Was Rückzug nicht bedeutet:
- dass dein Teenie dich weniger liebt
- dass du etwas falsch gemacht hast
- dass eure Beziehung bröckelt
Was Rückzug bedeutet:
- dein Teenie verarbeitet Gefühle
- dein Teenie reguliert Stress
- dein Teenie sucht nach eigener Identität
Was du deshalb erlauben solltest:
- geschlossene Türen
- Zeit allein
- Rückzug nach Konflikten
- nonverbale Ruhephasen
Ein Tipp: Sei verfügbar, statt aufdringlich! Sag deinem Teenie, dass du jederzeit ansprechbar bist, aber dass du seine Ruhe respektierst.
Lass dein Kind Freundschaften leben, auch wenn du manche Leute seltsam findest
Je älter Kinder werden, desto wichtiger werden Freunde und Freundinnen und umso unwichtiger werden Mama und Papa. So hart das für uns Eltern ist, so wichtig ist diese Entwicklung für unsere Kinder.
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Denn Freund*innen sind der Ort, an dem sie testen, wie sie auf andere wirken, welche Rolle sie in einer Gruppe einnehmen oder auch, wofür sie stehen wollen. Deshalb ist es wichtig, dass wir, auch wenn manche Personen in unseren Augen vielleicht nicht der beste Umgang sind, das Kind machen lassen. Teenager brauchen auch diese Beziehungen. Sie fördern Sozialkompetenz, Empathie und Konfliktfähigkeit.
Was du also erlauben solltest:
- regelmäßige Treffen
- Übernachtungen (wenn du sie verantworten kannst)
- eigene Chat-Gruppen
- gemeinsame Aktivitäten außerhalb der Schule
Das gilt natürlich nur so lange, wie dein Kind nicht in Gefahr ist. Ist der Kontakt riskant, manipulierend oder gefährdend, darfst du immer eingreifen. Aber solange es nur darum geht, ob dir jemand sympathisch ist: Lass los. Beziehungskompetenz lernt man nicht theoretisch, sondern durch Erfahrung.
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Erlaube deinem Teenie digitale Freiheit (mit klaren Regeln)
Digitale Medien gehören heute zur Identitätsbildung, unabhängig davon, wie nostalgisch wir an unsere eigene, analoge Jugend zurückdenken. Jugendliche kommunizieren über Apps, organisieren Freundschaften über Chats, lernen über YouTube, informieren sich über Social Media, entdecken Interessen über TikTok oder Reddit. Verbote bringen hier also wenig. Wissensvermittlung und Begleitung dagegen extrem viel.
Was Studien zeigen:
- Moderate Social-Media-Nutzung schadet Jugendlichen nicht grundsätzlich.
- Problematisch wird es erst, wenn Medien Schlaf, Schule oder soziale Kontakte massiv beeinträchtigen.
Was du deinem Teenager deshalb erlauben solltest:
- eigene Accounts
- experimentieren mit Fotografie, Musik, kurzen Videos
- digitalen Austausch mit Freund*innen
- Online-Hobbys und Communities
Was du gleichzeitig tun solltest:
- gemeinsam über Risiken sprechen
- Privatsphäre-Einstellungen durchgehen
- realistische Zeitlimits setzen
- bei Cybermobbing sofort unterstützen
- klare Regeln für Schule, Schlaf und Hausaufgaben vereinbaren
Wie man sich richtig, auch in digitalen Räumen bewegt, ist ein Lernprozess. Jugendliche, die dort begleitet und nicht einfach überwacht werden, gehen später verantwortungsvoller damit um.
Lass deinen Teenie Fehler machen und widerstehe dem Impuls zu retten
Das ist wahrscheinlich der härteste Punkt: Dabei zuzusehen, wie das Kind einen Fehler macht, tut weh, weil man es schützen will. Und weil wir wissen, dass Scheitern frustrierend ist. Aber Fehler gehören zur Entwicklung. Sie fördern Problemlösung, Selbstreflexion und Anpassungsfähigkeit.
Kinder und Jugendliche, für die jedes noch so kleine Problem sofort gelöst wird, entwickeln später weniger Durchhaltevermögen und eine geringere Frustrationstoleranz.
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Welche Fehler Teenager machen dürfen:
- schlechtes Zeitmanagement
- eine verpatzte Klausur
- zu viel auf einmal wollen
- falsche Prioritäten setzen
- schlechte Planung in Gruppenarbeiten
Solange die Konsequenzen überschaubar sind, sind diese Stolpersteine Lehrstunden.
Und was machen wir Eltern, wenn wir förmlich dabei zusehen, wie das Kind sehenden Auges in sein Unglück stürzt? Wir reagieren ruhig und ohne den Zeigefinger. Sätze wie „Ich hab’s dir doch gesagt“ schenken wir uns und wir springen dem Kind auch nicht zur Seite und bewahren es vor seinem Fehler.
Stattdessen sind wir da, wenn es uns braucht, hören zu und helfen ihm, den Fehler zu verstehen. Aber auch erst, wenn der Teenager danach fragt. Auch hier sollten wir uns nicht aufdrängen.
Jugendliche, die gezielt Verantwortung für eigene Fehler übernehmen müssen, wachsen daran. Jugendliche, die immer wieder geschützt werden, erleben sich als abhängig und unfähig, eigene, richtige Entscheidungen zu treffen.
Warum Loslassen das Gegenteil von Gleichgültigkeit ist
Viele Eltern verwechseln Freiheiten mit Desinteresse. Aber genau das Gegenteil ist wahr: Das Kind loszulassen ist viel anstrengender und nervenaufreibender, als es festzuhalten. Aber beobachten, begleiten und aufmerksam sein, nehmen dem Teenager nicht das Ruder aus der Hand, sondern reichen es ihm.
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So fördert man die intrinsische Motivation, Resilienz, das Selbstwertgefühl und die soziale Kompetenz seines Kindes. Und das wiederum wirkt sich langfristig auf eine stabilere psychische Gesundheit aus. Kurz gesagt: Du hilfst deinem Teenie nicht durch Kontrolle, erwachsen zu werden, sondern durch Vertrauen.
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