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Brauchen Kinder wirklich Matschhosen? Finnische Forscherinnen fordern Umdenken in der Erziehung

Kleines Kind spiel draußen allein an einer Pfütze, mit Stock und Eimer und Plastikschaufeln.
© AdobeStock/ Dwi

Vorab im Video: Diese wichtigen Dinge lernen Kinder in der Kita & so kannst du ihnen helfen!

Im Herbst sind Matschhosen der Dauerbrenner. Doch warum genau diese Outdoor-Kleidung besser aus bleiben soll, sagen wir euch.

Es gibt Dinge, die sind in Deutschland bei Kleinkindern einfach gesetzt: Helm auf dem Laufrad, Snackdose mit Trennfächern. Und natürlich: die Matschhose.

Kaum tropft ein bisschen Regen vom Himmel, schon verwandeln wir unsere Kinder in wetterfeste Mini-Angler, die keinen Regentropfen zu spüren bekommen sollen. „Schatz, zieh die Matschose an. Es könnte gleich anfangen zu regnen.“ Wie oft habe ich es selbst schon zu meinem Sohn gesagt.

Und jetzt kommen zwei Forscherinnen aus Finnland daher und sagen: „Ihr übertreibt.“ Ich musste erstmal schlucken, denn Matschhosen gehören für mich zum Herbst dazu wie Sand im Sandkasten.

Die Studie: Finnische Wissenschaft trifft Kita-Alltag

Die Erziehungswissenschaftlerinnen Virve Keränen und Susanne Kinnunen von der Universität Oulu wollten in ihrer Studie wissen:

  • Warum sind Matschhosen in Kitas eigentlich so allgegenwärtig?
  • Wie wirken sie auf Kinder?
  • Und sind sie wirklich das goldene Ticket zu glücklichem, gesundem Outdoor-Spiel?

Dafür haben sie mit Erzieher*innen gesprochen, Kitas beobachtet, online recherchiert und eine ganze Reihe an Daten ausgewertet.

Das Ergebnis lässt sich in etwa so zusammenfassen: Die Matschhose ist nicht nur Kleidung, sondern ein kulturelles Statement! Ein Symbol für das „perfekt vorbereitete, naturverbundene, ordentlich eingepackte Kita-Kind“. Und genau da liegt das Problem.

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Warum Matschhosen ein bisschen wie überfürsorgliche Helikopter sind

Die Forscherinnen fanden heraus: Kinder sind oft gar nicht so begeistert, wie wir glauben. Die Hosen sind starr, rutschen, drücken, machen komische Geräusche und fühlen sich ein bisschen so an, als wäre man selbst ein Regenfass mit Trägern. Die Bewegungsfreiheit? Eher so mittel.

Für viele Kids wird die Matschhose zu einer Art „Einsperrung in praktischem Polyester“. Sie dürfen zwar in Pfützen springen, aber sie spüren die Pfütze nicht. Sie bewegen sich draußen, aber irgendwie eingetütet.

Kurz: Wir schützen sie vor dem Erlebnis, das wir ihnen eigentlich ermöglichen wollen.

Nass werden ist kein Weltuntergang, sondern wichtig für die Entwicklung

Die Forscherinnen betonen etwas, das viele Eltern schon lange ahnen, aber selten wahrhaben wollen: Kinder lernen durch Erfahrung. Mit Haut. Mit Händen. Mit nassen Socken.

Wenn Kinder die Elemente direkt spüren, Wasser, Schlamm, Gras, Steine, trainieren sie Motorik, Gleichgewicht und Körperwahrnehmung. Sie merken: Aha, Moos ist weich. Pfützen sind tiefer als gedacht. Und Schlamm klebt richtig gut.

Die Matschhose nimmt ihnen diesen direkten Kontakt. Nicht unbedingt schlimm, aber auf jeden Fall schade.

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Die Realität in Kitas: 25 Kinder, wenig Erzieher*innen und jede Menge Wäsche

Natürlich wissen die Forscherinnen: Matschhosen haben ihre Daseinsberechtigung. Und zwar eine massive.

In Kitas erleichtern sie vieles:

  • weniger Schmutz
  • weniger Chaos
  • weniger panische Eltern-Mails („Warum ist mein Kind so nass?“)
  • weniger Umzieh-Drama im Flur

Für Erzieher*innen sind Matschhosen ungefähr so praktisch wie ein Kaffeevollautomat, der nie kaputtgeht.

Das Problem ist nicht die Hose! Sondern, dass sie oft immer und für alles eingesetzt wird. Selbst wenn es gar nicht matschig ist. Selbst wenn das Kind sagt: „Ich möchte heute mal gucken, wie sich Regen anfühlt.“

Eltern unter sozialem Druck: Die stille Angst vor der nassen Hose

Die Studie zeigt auch: Viele Eltern ziehen die Matschhose aus purem gesellschaftlichem Druck an. Du willst ja nicht der Elternteil sein, dessen Kind im Kita-Alltag aussieht, als wäre es in der Wildnis groß geworden. Also packst du es lieber doppelt ein. Oder dreifach. Und noch eine Fleece-Schicht drunter.

Keränen und Kinnunen sagen: Wir sollten uns manchmal mehr trauen, die Kinder ohne Schutz rauszulassen. Nicht immer. Aber manchmal reicht schon: „Okay, heute darfst du einfach nass werden.“

Wie wir zu einer entspannteren Matschhosenkultur kommen

Doch wie sollen wir jetzt vorgehen? Die Matschhose immer weglassen. Nein, sagen auch die Forscherinnen. Wenn ihr das nächste Mal vor der Frage steht „Matschhose ja oder nein?“ solltet ihr über folgendes nachdenken:

  1. Matschhose? Ja, aber bewusst: Frag dich: Braucht mein Kind sie heute wirklich oder ist es einfach nur Gewohnheit und du hast keine Lust zum Waschen?
  2. Kinder selbst fragen: „Wie fühlst du dich in der Matschhose? Kannst du dich darin gut bewegen?“ Die Antworten können überraschend sein.
  3. Ab und zu ohne Matschhose: Klar, nicht bei minus 10 Grad und Sturmwarnung. Aber bei mildem Wetter? Warum nicht.

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