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Ist mein Kind unhöflich? Warum Erwachsene kindliches Verhalten oft falsch deuten

Mädchen an einem schönen Herbsttag draußen, streckt frech die Zunge raus.
© Getty Images/ Carlos Barquero

Vorab im Video: Wann gilt ein Kind heute als gut erzogen?

Manches Kind wirkt aus Erwachsenensicht unhöflich, aber warum eigentlich? Wir erklären, was uns Erwachsene triggert, was dahintersteckt und wie du respektvolles Verhalten förderst.

Mir ist letztens ein Nachbarskind auf der Straße begegnet, das ich gut kenne. Gegrüßt hat mich der 11-Jährige trotzdem nicht. Und das war okay. Weil ich mit 11 Jahren selbst die besten Freunde meiner Eltern nicht auf der Straße gegrüßt hätte. Nicht etwa, weil ich sie nicht mochte oder bewusst unhöflich sein wollte, sondern weil ich mich nicht getraut habe.

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Aus heutiger Sicht totaler Quatsch, schließlich ist das Wörtchen Hallo völlig harmlos. Niemand würde sich wohl davon provoziert fühlen. Und selbst wildfremde Menschen antworten darauf mit einem Hallo oder reagieren einfach gar nicht. Und doch ging es mir früher nur schwer und manchmal nur nach Aufforderung meiner Eltern über die Lippen.

Für so manchen Erwachsenen war das absolut unhöfliches Verhalten. Aber ist es das?

Vieles, was als schlechtes Benehmen gilt, ist in Wahrheit völlig altersgerechtes Verhalten, manches neurobiologisch erklärbar und nicht im Ansatz ein Zeichen für schlechte Erziehung. Nur wissen das die wenigsten.

Deshalb werden Kinder oft missverstanden, von Außenstehenden, manchmal Gleichaltrigen und sogar von uns Eltern.

Erwachsenensicht vs. Kind

Sprechen Erwachsene über unhöfliche Kinder, meinen sie sehr oft dieselben Situationen. Und bei der Mehrheit von ihnen handelt es sich um Missverständnisse. Weil Erwachsene aus einer Welt urteilen, für die Kinder oft noch nicht ausgerüstet sind.

Hier die häufigsten Situationen:

1. Das Kind grüßt nicht

Für uns Erwachsene ist Grüßen das Minimum an sozialer Interaktionen. Ein ‚Hallo‘ gehört dazu, wie Schuhe anziehen.

Für Kinder hingegen ist Grüßen ein komplexer Vorgang: Blickkontakt, Nähe, die Stimme kontrollieren, einschätzen, was gerade von den anderen erwartet wird. Und damit tun sich viele Kinder schwer. Sie schweigen also nicht aus Respektlosigkeit, sondern weil ihr Stresslevel in solchen Momenten enorm steigt.

Viele Kinder sind in diesen Momenten überfordert oder verunsichert. Was Erwachsene dann als unhöflich erkennen, ist eigentlich Schüchternheit oder Überforderung.

2. Danke und Bitte

Uns Erwachsenen ist es in der Regel in Fleisch und Blut übergegangen, Bitte und Danke zu sagen. Es ist fast schon ein Automatismus. Den haben Kinder aber nicht. Ihr Gehirn ist auf diese alltäglichen Floskeln und sozialen Interaktionen schlichtweg noch nicht programmiert.

Bekommt ein Kind also etwas (geschenkt) und bedankt sich nicht sofort, ist es nicht unhöflich, sondern abgelenkt. Es ist beschäftigt mit dem, was es gerade bekommen hat. Erst mit ca. 8 Jahren haben Kinder Bitte und Danke so richtig verinnerlicht.

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3. Weggehen mitten im Gespräch

Die Situation kennen Eltern vermutlich zur Genüge. Das Kind stellt eine Frage und noch während man dabei ist, sie zu beantworten, rennt das Kind weg oder lässt sich anderweitig ablenken.

Als Erwachsener empfinden wir das als sehr unhöflich. Kinder entziehen sich aber Situationen, die ihnen zu viel werden. Zum Selbstschutz. So schützen sie ihr Nervensystem, regulieren Reize und sparen Energie.

4. ‚Freche‘ Antworten

Sätze wie „Du nervst!“, „Lass mich!“ oder „Ich hab keinen Bock.“ klingen in erwachsenen Ohren gern unverschämt. Aber auch sie sind ein Schutzmechanismus bei Kindern. Wer so reagiert, ist (noch) nicht in der Lage, seine Gefühle anders auszudrücken.

Ist ein Kind frustriert, überfordert oder unsicher, drückt es das auf diese sehr direkte Art aus. Zum Missfallen vieler Erwachsener.

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5. Drängeln, Vordrängeln, ins Wort fallen

Kinder sind stark von Impulsen gesteuert. Ihr Gehirn steckt noch in der Entwicklung und ist einfach noch nicht so weit, kontrolliert zu reagieren. Also fallen sie einem ins Wort und drängeln. Nicht, weil sie keinen Respekt haben oder unhöflich sind, sondern weil der Impuls, sich mitzuteilen, größer ist, als etwas für sich zu behalten oder zu warten.

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Warum reagieren Erwachsene so empfindlich?

Wie so oft ist nicht das kindliche Verhalten selbst das Problem, sondern die Sicht darauf. Als Erwachsene vergessen wir nämlich viel zu oft, wie es ist, Kind zu sein. Wir erwarten oft zu viel.

Während wir vielem mit unserer Erwachsenenlogik begegnen, mit den Erfahrungen und Werten, die wir uns über die Jahre zu eigen gemacht haben, sind Kinder spontan, emotional und impulsiv.

Und vermeintliche Unhöflichkeit ist viel öfter ein Zeichen für Überforderung, Stress, ein Bedürfnis oder einfach fehlende Reife. Kinder sind nicht unhöflich. Sie sind jung. Sie entwickeln sich. Sie brauchen Zeit. Und sie verdienen es, nicht vorschnell in eine Schublade gesteckt zu werden.

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